K78 2012

Dier Plan der nicht funktionierte

Moin,

K78 - Der Plan der nicht funktionierte
Endlich sitze ich im Flieger. Es geht Richtung Schweiz. Davos. Der Start ist keine 24std. mehr hin. Das ist gut. Die Ruhe vor dem Sturm macht nervös und wer will schon nervös sein. Ich warte noch auf die Panne in der Anreise. Pannen, das zeigte ich ja statistisch, sind gut für ein Finish. Aber eine echte Panne wollte nicht kommen. Ich musste mich einer Verhandlung mit einer geringen Strafe stellen, weil ich vergessen hatte mein vom swissalpine zugesendetes Bahnticket ordnungsgemäß zu entwerten. Weder der Ausländerbonus noch der Umstand, dass das Ticket namentlich dem Swissalpine zugeordnet war und somit eh nur an dem Wochenende gültig sein könnte halfen. Ich wertete das als meine Anreise Panne und war frohen Mutes.

Das Wetter am Freitag war super. Heiß und sonnig. Mein lieblings Rennwetter. So dürfte das gern bleiben. Nachmittags traf ich mich Marianne und wir tranken noch nett einen Smoothie. Und dann kam der Regen. Und Gewitter. Murks. Marianne als designierte Wettergöttin sagte voraus, dass durch die Abkühlung die Chance auf erneute Gewitter am nächsten Tag gegen Null geht. Klang einleuchtend und ich wollte es auch glauben.

Da nächsten Morgen um 7:00 ein Lauf anstand wurde es kein langer Abend. Wir verzogen uns in unsere jeweiligen Unterkünfte und verabredeten uns für 6:30 morgen am Start.
Ich schlief gut. Wachte entsetzt auf. Wolken und leichter Regen. Murks. Na egal. Sowohl der Lauf als auch das Wetter waren heute. Also runter zum Frühstück welches es heute bereits ab 5:00 Uhr im sogenannten Youtpalace gab. Und es war ein tolles Frühstück. Ich soff reichlich Kaffee und O-Saft und füllte mir Müsli und Nutella toast in den Bauch bis ich nicht mehr konnte.
Dann machte ich mich zu Fuß auf den Weg zum start und hatte noch eine nette Unterhaltung mit einer Prinzessin. Sie startete mit Diadem im Haar. Sie kam aus der Schweiz und unsere Unterhaltung war nicht ganz einfach. Etwas was ich als Frage ob ich allein starte interpretierte war dann aber doch die Frage ob ich "den Ganzen" mache. Ich sagte ich hätte es vor. Worauf man mir nett erklärte, dass man den K78 den Ganzen nennen würde. Was ja ein bisschen fies ist, finde ich, weil einer der den K42 macht, ja auch das Ganze schafft, was er sich vorgenommen hat. Gut. Wir hatten das also geklärt. Wir beide würden als "den Ganzen" machen. Ich mit der Idee kurz vor 21:00 ins Stadion Rund einzulaufen. Sie deutlich früher.
Am Start traf ich Marianne. Wie geplant. Wir waren beide nervös. Aber glücklich, dass es jetzt gleich losgehen würde.
Und dann ging es los. Blöde Runde durch die Stadt. Gefiel mir nicht. War ja aber bekannt. Marianne und ich liefen locker. Meine Beine spielten mit und so waren wir flott unterwegs.
Der Asphalt blieb auch außerhalb von Davos unser Freund und es ging primär runter. Nach ca. 10km kam ein flotter Anstieg und wir gingen. Dann wieder runter. Und noch mal rauf. Alles gut. Alles Gut? Nein. Denn der in einem der letzten Aufstiege vor Filisur sah Marianne ein Stück vor uns Kathrin. Sie wollte zu Ihr auflaufen und dachte ich laufe mit. Diese leichte Tempo Verschärfung war aber Mist. Großer Mist. Nach wenigen Metern waren beide Waden dicht. Rechts war so fest, dass ich stehen bleiben musste. Ich dehnte 30sekunden an einen Baum gelehnt. Ich lief weiter. 10m später stand ich an dem nächsten Baum. Ich habe dann ein paar Minuten gedehnt und bin dann piano weiter. Der Kopf war in der Wade und hat jede noch so kleine Rührung beobachtet. Da stand Marianne. Sie hat gewartet. Sehr lieb. Ich berichtete von meinem Problem und wir liefen weiter. Es löste sich etwas, ging aber nicht ganz weg.

Dann Filisur. Wir hatten ja einen Plan. Der sagte 10:30 bis zur Matte in Filisur. Wir waren um 10:16 dort. 30km mit fast 500 Hm in der Zeit? Wir würden sterben. Das war schnell und ich hatte Sorge vor der Rache des Körpers.

Marianne war immer noch flott und zupfte. Ich merkte im Anstieg nach Bergün, dass Marianne noch mehr Körner auf der Pfanne hatte und sagte sie solle losziehen. Was Sie dann auch tat. Ich war allein. Wir hatten 32km zusammen unter die Hufe genommen. Mehr als je zuvor. Rekord. Und nun ging es für mich allein den Berg hoch.
Und ich muß einen totalen Denkverlust gehabt haben. Jedenfalls begann hier mein eklatanter Rechenfehler. Ich stieg den Berg hoch und erreichte Bergün um 11:29. Da ich aber meinen Zettel mit den Zwischenzeiten vergessen hatte… ja deshalb dachte ich, weil ich mich noch an etwas mit xx:20 erinnerte ich sei etwas knapp dran. Komisch dachte ich. Lief doch gut. Aber dann hast Du wohl 9 min auf Deinen Plan eingebüßt. Jetzt mal nicht schlapp machen.
Ich kramte in meinem Kopf und zog aus dem Gedächtnis eine 13:10 für Chant heraus. Und so ging es munter weiter. Und ich erreichte Chant um 13:10. ich war wieder im Plan. So meine Vermutung. Prima. Lange öde Anstiege über serpentinige Asphaltstraßen waren jetzt auch keine mehr zu befürchten. All das lag hinter mir. Ich war angekommen in der Bergwelt. Und es wurde sonniger. Juchu!
In Chant hörte ich ein Läuferteam sprechen: Jetzt kommt gleich ein giftiger Anstieg. Mußt Dir aber keine Sorgen machen, sagte der eine zum anderen, der ist nur kurz. Aha. Gut zu wissen. Aus dem Ort raus kam ein bisschen Wald und ein heftiger Anstieg. Es kamen diverse Serpentinen. Und hinter jeder ging der Anstieg weiter. Bereits nach einigen Serpentinen hätte ich den Kollegen gern mal nach seiner Definition von "kurz" gefragt.

Der Weg war glitschig und die Luft wurde dünner. Ich achtete sehr darauf jeweils festen Tritt zu haben und mit jedem Abdruck auch etwas an Höhe zu gewinnen. Ich war fasziniert von den Menschen vor mir, die das nicht taten und bei jedem Abdruck fast eine Fußlänge wieder abrutschten. Die mussten ja noch Kraft ohne Ende haben. Zunehmend standen mal japsenden Läufer an der Strecke und schnappten nach der dünnen Luft. Ich hingegen ging ohne Pause durch. Denn ich hatte einen Plan. Und mein Kopf zeigte mir eine 14:10 für die Keschhütte. Und die war noch weit. Also mal keine Müdigkeit vortäuschen und weiter. Der Wald ging. Es kam die Weite. Ich sah eine Art Paß und dachte: Keschhütte du bist mein. Wäre zwar viel zu früh, aber wäre auch schön.
Auf dem gedachten Paß angekommen, sah ich eine lange Wurst Läufer an einem Berg. Was ich nicht sah war die Keschhütte. Also war Sie noch weit. Ich dachte, au weia und blieb am Gas. Es war mittlerweile richtig warm. Die Sonne stand hoch am Himmel. Mein Wetter. Und so zog ich den Berg hoch. Dann sah ich die Hütte. 14:10? Könnte knapp werden. Also mal zügiger gehen. Hier und da dann aber auch noch ein Foto. Soviel Zeit muß sein.

14:14 war ich an der Hütte. 4 Minuten nach der Zeit. Ach, dann hatte ich ja noch Puffer. Weil ich ja auf 15minuten Luft geplant hatte. Puh. Ich war oben Und ich hatte im Vorfeld gesagt: Keschhütte erreichen und ich habe das Ding im Sack.
Nach Kesch ging es flott bergab. Ich konnte Laufen, weil ich doch froh war es geschafft zu haben. Eine schöne Hochebene. Viele kleine Bachläufe. Ich rutschte nicht aus und nahm kein Vollbad wie eine Mitstreiterin. Ach war das herrlich hier oben. Sonne und diese Landschaft. Ein Teich den wir umrundeten und dann der Aufstieg zum Sertigpass. Langsam zog sich der Lindwurm hinauf. Schritt für Schritt. Ich konnte einfach mitschwimmen. Cool.

Und hier fing ich wieder an in meinem Beutel von Zwischenzeiten zu kramen. Zwei lagen da noch drin. 16:20 und 18:20. Zwei. Zwei. Zwei….langsam. Wie viele? Zwei? Ja. Ganz genau. Ich hatte noch zwei im Köcher. Aber nur noch einen Ort. Sertig Dörfli. Aber noch ZWEI Zeiten. Und da kam es mir. Im Anstieg zum Sertigpaß. Im Bandwurm der Läufer. Mit zwei Zwischenzeiten im Köcher und nur noch einem Ort vor mir. Da machte es plupp. Ich hatte meinen Plan versemmelt. Den tollen Plan. Durch einen totalen Denkverzicht oder nur durch einen vergessenen Zettel war dieser Plan zerstört worden. Ich hatte noch zwei Zeiten und nur noch einen Ort. Genau. Das hieß ich hatte…. 2 Stunden VOR meinem Plan die Keschhütte erreicht, weil ich bereits in Bergün die falsche Zeit gezogen hatte.


Ich war ZWEI Stunden zu früh hier! Zwei Stunden! Und ich sage es Euch, diese Red Bull Plörre die verleiht sicher nicht die Flügel wie diese Erkenntnis es konnte. Plötzlich war vergessen, dass ich weder die Farmerriegel noch die Rosinenbrötchen mehr sehen konnte. Ich war zwei Stunden vor meiner Zeit. Oben am Sertigpass gönnte ich mir darauf hin eine kurze Massage der Waden. Ich hatte ja jetzt richtig Luft. Es gab Cola. Ich trank Cola. Party. Ich hatte Luft.

Und damit auch Mut. Ich bin den Berg Richtung Sertig Dörfli herab geflogen. Irre. Ich habe Läufer überholt ohne Ende. Es lief. Ich wusste, selbst wenn bergab ein Krampf zuschlagen würde. Ich könnte von hier mit dem Polster auch ins Ziel hinken. Also weiter. Bergab immer rollen, im Anstieg schön gehen. Noch schien die Sonne.

Ich rechnete mir aus, knapp unter 12 Stunden ins Ziel kommen zu können. Damit hätte ich es sogar in der alten ursprünglichen Zielzeit des Swissalpine geschafft. Also mal los. Ich konnte schon das Stadion hören.

Irgendwann oberhalb von Davos im Wald fing der Regen an. Na störte jetzt auch nicht mehr. War aber kühl. Na egal ich war fix dabei und würde es unter 12 Stunden schaffen. Es kam Hagel. Und es war bitter kalt. Der Regen war nur noch knapp über Null Grad warm (gefühlt). Aber egal. Ich war flott unterwegs. Es zeichnete sich ab, dass mir die Flügel die mir oben auf dem Pass gewachsen waren so viel Vortrieb gegeben haben, dass ich sogar eine 11:30 anpeilen konnte. Also blieb ich am Gas. Und stürzte mich ins Tal. Ich war in Davos. Strömender Regen. Recht leere Straßen. Ich sehe den Eingang zum Stadion. Noch eine halbe Runde über die Tartanbahn kraulen und ich bin im Ziel.
Nicht nur, dass ich den K78 gefinisht habe - was einige mir nicht zutrauen wollten - nein ich habe es in 11:30:23 geschafft. Für mich eine Fabelzeit.
Und mal ehrlich, da war es mir auch egal, dass der Plan nicht aufgegangen ist.
Ich bin auch heute zwei Tage danach noch so was von happy…unglaublich. Ja Ihr dürft Euch mit mir freuen!!!